Zwischen den Gedanken
Ich habe lange geglaubt, dass ich meine Gedanken bin. Dass das, was in meinem Kopf kreist – Sorgen, Pläne, Erinnerungen – mich ausmacht. Ich verwechselte die Bewegung des Geistes mit meiner Identität. Wenn ich dachte, war ich. Und wenn ich nichts dachte, war ich unsicher, ob ich überhaupt war.
MEDITATIVES SCHREIBEN
7/11/20253 min lesen
Zwischen den Gedanken
Ein Ort, an dem ich atme
Es ist ein schmaler Raum, fast unsichtbar, und doch ist er da – zwischen einem Gedanken und dem nächsten. Ein Atemzug nur, eine lichte Weite, kaum fassbar. Und doch liegt in diesem Dazwischen etwas, das mich immer wieder berührt: Frieden. Wahrhaftigkeit. Sein.
Ich habe lange geglaubt, dass ich meine Gedanken bin. Dass das, was in meinem Kopf kreist – Sorgen, Pläne, Erinnerungen – mich ausmacht. Ich verwechselte die Bewegung des Geistes mit meiner Identität. Wenn ich dachte, war ich. Und wenn ich nichts dachte, war ich unsicher, ob ich überhaupt war.
Aber mit der Zeit, ganz allmählich, begann sich etwas zu öffnen. Es geschah nicht in einem Moment der Erkenntnis, sondern in stillen Augenblicken – im Warten, im Wandern, im Schweigen. Ich begann zu spüren, dass da etwas lebt, noch bevor der nächste Gedanke auftaucht. Etwas, das nicht denkt – sondern sieht. Etwas, das nicht wertet – sondern lauscht.
Ich erkannte: Zwischen meinen Gedanken bin ich nicht leer – ich bin frei.
Es war wie das erste Eintauchen in ein stilles Wasser nach langem Lärm. Zuerst war es fremd. Ich suchte nach etwas, an dem ich mich festhalten konnte. Aber dort war nichts. Kein Konzept, keine Geschichte, keine Richtung. Nur der Moment – roh, nackt, lebendig.
Und doch – je öfter ich dort verweilte, desto mehr begann ich ihn zu lieben. Diesen Ort, an dem nichts geschieht, außer dass ich bin. Kein „Ich sollte“, kein „Ich muss“. Kein Versuch, etwas zu erklären. Nur Dasein. Bewusstsein. Gegenwart.
Ich saß eines Morgens auf einer Bank, irgendwo zwischen Wiesen und Bäumen. Die Gedanken wollten mich wieder holen – mit Listen, mit Sorgen, mit Vergleichen. Aber ich tat nichts. Ich ließ sie kommen und gehen. Und dann – wie durch einen Spalt im Gewebe der Zeit – war plötzlich alles still.
Ich war zwischen den Gedanken. Nicht abgelenkt, nicht analysierend. Ich war einfach nur da.
Es war, als würde etwas Größeres durch mich atmen. Und ich verstand: Ich bin nicht meine Gedanken. Ich bin der, der sie beobachtet. Der sie ziehen lässt. Der da bleibt, wenn alles andere geht.
Von diesem Moment an begann ich, diesen Raum zu suchen. Nicht krampfhaft, nicht wie eine Technik. Sondern als Rückkehr. Als stille Einladung an mich selbst, heimzukommen. Zwischen den Gedanken finde ich nicht Antworten – ich finde mich. Oder besser gesagt: Ich verliere das, was ich nicht bin. Und was bleibt, ist Essenz.
Ich glaube, wir alle haben diesen Ort in uns. Aber wir lernen früh, ihn zu übersehen. Wir füllen ihn mit Geräusch, mit Aktivität, mit Erklärungen. Wir halten Stille nicht aus, weil sie uns mit uns selbst konfrontiert. Und doch ist genau dort die Freiheit, nach der wir suchen – nicht hinter den großen Antworten, sondern vor den Fragen.
Ich habe erfahren, dass dieser Raum nicht leer ist, sondern voll. Voller Leben, voller Präsenz, voller stiller Liebe. In ihm hört die Trennung auf – zwischen mir und der Welt, zwischen Ich und Du. Alles ist verbunden durch diesen einen, stillen Punkt im Herzen der Zeit.
Manchmal, wenn ich morgens aufwache, bleibe ich noch einen Moment liegen. Bevor der Verstand das Steuer übernimmt, höre ich in mich hinein. Und da ist er: der Raum zwischen den Gedanken. Wie ein stilles Licht. Wie ein warmer Atem. Ich halte ihn nicht fest. Ich danke ihm – und lasse ihn weiterziehen.
Dieser Ort hat keinen Namen. Kein Dogma. Kein System. Er gehört niemandem – und doch ist er allen zugänglich. Ein Kind kennt ihn instinktiv. Ein Liebender spürt ihn im Blick des anderen. Ein Künstler findet ihn, wenn die Schöpfung geschieht, ohne dass er weiß, wie.
Ich nenne ihn manchmal „das Tor zum Wesentlichen“. Denn dort, in dieser schmalen Lücke, erkenne ich, was wirklich ist: Ich bin nicht getrennt. Nicht zu spät. Nicht falsch. Ich bin da.
Wenn ich heute einem Menschen begegne, der rastlos wirkt, der kämpft, der sich müht, frage ich mich leise: Wann warst du zuletzt zwischen deinen Gedanken? Wann warst du zuletzt einfach nur du – ohne Geschichte, ohne Rolle, ohne Ziel? Und manchmal wünsche ich, ich könnte ihm diesen Ort zeigen, nicht in Worten, sondern durch mein eigenes Dasein. Durch mein Stillwerden.
Denn dieser Raum ist ansteckend. Stille lädt ein. Sie schreit nicht, sie zieht nicht – sie wartet. Und wenn wir ihr Raum geben, geschieht etwas Seltsames: Wir werden ganz. Ohne etwas zu tun.
Ich weiß, dass ich diesen Ort oft wieder verliere. Der Alltag nimmt mich mit, die Gedanken kommen zurück, laut, drängend, überzeugend. Aber ich weiß auch: Der Raum ist nie weg. Er ist immer da – unter allem, hinter allem, in allem.
Ich muss ihn nicht suchen.
Ich muss mich nur erinnern.
Dann kehre ich zurück – dorthin, wo kein Wort mehr nötig ist, und kein Gedanke mehr stört.
Zwischen den Gedanken.
Dort, wo ich wirklich bin.
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